Why Class (still) Matters
Die aktuelle Großwetterlage
Die vergangenen Jahre standen für viele Menschen rund um den Globus unter dem Zeichen multipler, miteinander interagierender Krisen. Zunächst wurden die Gefahren des menschengemachten Klimawandels durch die jugendliche Fridays-for-Future Bewegung erstmals in die breitere Gesellschaft und in das Zentrum des politischen Diskurses getragen. Die unzähligen Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen dieses Sommers sind dabei als Symptome dieser ausufernden Verheerungen zu begreifen. Als nächstes wurde das bisher für alltäglich befundene Leben für rund zwei Jahre von COVID-19 und den damit assoziierten Schutzmaßnahmen suspendiert. Inzidenz-, Todes-, oder Impfungsquoten standen im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Und seit nun mittlerweile fast zwei Jahren dominiert der russische Angriffskrieg in der Ukraine öffentliche sowie private Debatten und übt merklichen Einfluss auf das Leben der Menschen im Globalen Norden aus. Nicht nur in ökonomischer Hinsicht durch steigende Energiekosten, hohe Inflation und zu deren vermeintlichen Bekämpfung, hohe Zinssätze.
Im Globalen Süden sind derweil die Auswirkungen der zuvor angeführten Krisenphänomene meist mit vielfach potenzierter Intensität spürbar. Externalisierung, die Entkopplung von Haupt-Verursacher:innen und den am stärksten Betroffenen, ist das Stichwort, um dieses Phänomen adäquat zu begreifen. Durch den Klimawandel bedingte Umweltkatastrophen, patentierte Impfstoffe sowie drastisch steigende Nahrungsmittelpreise aufgrund der Exportbeschränkungen in der Ukraine sind für die lokale Bevölkerung Fragen von Leben und Tod, von Gehen oder Bleiben. Dies sollte man aber nicht als überzogene Zuspitzung verstehen, sondern wörtlich nehmen. Denn selbst das überwunden geglaubte Problem des Hungers ist in globaler Perspektive wieder auf dem Vormarsch und kehrt in die Lebensrealität beträchtlicher Teile der Bevölkerung zurück. Rund 10% der Weltbevölkerung leiden mittlerweile unter chronischem Hunger und täglich verhungern rund 20.000 Menschen, alle vier Sekunden einer (1).
Eine meist vernachlässigte Facette dieser multiplen, interagierenden Krisen ist die soziale Frage, das obszöne Ausmaß sozialer Ungleichheit. Ungleichheit sowohl innerhalb der westlichen Industrienationen als auch die gravierende Ungleichheit zwischen Globalem Norden und Süden. In all den oben genannten Fällen muss diese nicht nur bedacht, sondern unbedingt in die Debatten miteinbezogen werden, um Probleme zu lösen, negative Folgen abzuschwächen und die resultierenden Kosten gerecht zu verteilen. Im Hinblick auf die Klimakrise ist folgendes festzuhalten: “Since 1990, the bottom 50% of the world population has been responsible for only 16% of all emissions growth, whereas the top 1% has been responsible for 23% of the total. While per-capita emissions of the global top 1% increased since 1990, emissions from low- and middle-income groups within rich countries declined”(2). Innerhalb Österreichs verursachen zudem die wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als viermal so viel Treibhausgasemissionen wie die ärmsten zehn Prozent des Landes (3). Selbst im Zusammenhang mit COVID wurde ein negativer Zusammenhang zwischen Sterblichkeit und sozialer Klasse festgestellt (4) und es wächst die Besorgnis, dass “lower work experience and training for the less educated and missed schooling—particularly among children from more deprived families— could push up human capital inequalities and reduce social mobility” (5). Schließlich könnte die Inflation, angetrieben durch einen angebotsseitigen Schock durch steigende Energiepreise aufgrund des Krieges in der Ukraine, den größten Reallohnverlust für Arbeitnehmer in Österreich seit 1955 verursachen (6). Und selbst Putins Armee rekrutiert bevorzugt junge Männer aus ärmeren und abgelegeneren Teilen Russlands, oft aus Gegenden mit einem hohen Anteil an ethnischen Minderheiten (7).
Warum wurden diese Krisen dennoch vorwiegend mit konservativen Appellen an soziale Einheit, wie etwa gemeinsames Energiesparen etc., bearbeitet und haben noch keine breite gesellschaftliche Debatte über soziale Ungleichheit ausgelöst? Oder allgemeiner ausgedrückt: Warum hat der ehemals rege Diskurs über soziale Klassen so viel seiner Schlagkraft eingebüßt?
Über die Unsichtbarkeit der Klassen
Dieses zunehmende Unsichtbar-Werden der sozialen Klassen sowie der aus ihrem mehr oder weniger expliziten Antagonismus resultierenden Debatte über soziale Ungleichheit kann teilweise aus ideologischer bzw. aus wirtschaftshistorischer Perspektive erschlossen werden.
Die wirtschaftstheoretische Revolution des J. M. Keynes versuchte in der Zwischenkriegszeit die Probleme des komplett liberalisierten Laissez-Faire-Kapitalismus des 19. Jh, welcher eng mit einer in globaler Perspektive britischen Hegemonie verbunden war, zu lösen. Im Zuge der politischen Krisenbewältigungs- und Stabilisierungsversuche nach der Weltwirtschaftskrise 1929 durch US-Präsidenten Roosevelt und dessen „New Deal“ wurde der Keynesianismus amerikanische Staatsdoktrin, während durch die ökonomischen Verwerfungen faschistische Bewegungen in Europa mit ihren chauvinistischen Autarkiebestrebungen regen Zulauf erhielten. Nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges und dem Ende des Faschismus in Europa (Spanien und Portugal lasse ich hier außen vor) wurde dieser amerikanisch geprägter Keynesianismus auch in Westeuropa zum vorherrschenden wirtschaftlichen Paradigma. Dessen charakteristische Zielsetzung einer Stabilisierung der Nachfrage zur Bewältigung ökonomischer Krisen zog weitreichende Änderungen des Verhältnisses zwischen Staat und Markt nach sich. Dem Staat wurde eine zentralere, aktivere Rolle zugedacht, in der auch weitreichende Umverteilungs- und sozialstaatliche Maßnahmen inkludiert waren. Vor dem Hintergrund des aufkommenden Kalten Krieges, der Systemkonkurrenz mit einer neuen sowjetischen Supermacht und der Sowjetisierung Osteuropas wurde versucht, Klassenkompromisse zu schließen und die Arbeiterschaft mehr am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben zu lassen. Die österreichische Sozialpartnerschaft ist ein Paradebeispiel hierfür. Weitreichende Teilhabe am Wohlstand, fordistischer Massenkonsum, hohe Sozialleistungen und ungekannte Aufstiegsmöglichkeiten sind charakteristisch für die Wirtschaftswunder der westeuropäischen Nachkriegsgeschichte. In den 80er Jahren geriet dieses Erfolgsrezept des eingebetteten Liberalismus der Nachkriegszeit jedoch zunehmend unter Druck. Produktive Deckeneffekte wurden erreicht, die Märkte waren zunehmend übersättigt, exogene Ölpreisschocks sorgten für Inflation bei gleichzeitigen Stagnationen des, für die Legitimierung des Systems so zentralen, Wirtschaftswachstums.
Die bis dahin randständige neoliberale Ideologie wurde als Versuch der Krisenbewältigung durch Ronald Reagan ab 1981 in den USA und Margaret Thatcher ab 1979 in Großbritannien in Form der „Supply-Side-Economics“, einer im Gegensatz zum Keynesianismus angebotsseitig orientierten Ökonomie, umgesetzt. Zur Bekämpfung der Inflation wurde im Sinne des Monetarismus eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik mit sozialstaatlichen Kürzungen umgesetzt. Steuererleichterungen für die obersten Prozente der Bevölkerung sollten zu steigenden Investitionen führen und über einen hypothetischen Trickle-Down-Effekt ein jedem zugutekommen. Der öffentliche Sektor wurde im Verhältnis zur Privatwirtschaft immer weiter geschwächt, Staatseigentum wurde in großem Ausmaß privatisiert und die Position des Unternehmertums im Verhältnis zur Arbeiterklasse wurde gestärkt. Prekarisierung, Zerschlagung der Gewerkschaften und ein harter internationaler Standortwettbewerb waren die Mittel, um die scheinbar verkrusteten und ineffizienten keynesianischen Institutionen und den internationalen Handel zu liberalisieren. Selbst sozialdemokratische Parteien, die klassischen Vertretungen der Arbeiterklasse innerhalb des parlamentarischen Systems, haben sich in den 90ern dieser neoliberalen Hegemonie gebeugt, was sich in perfiden Umsetzungen wie etwa „New Labor“ in Großbritannien oder der Agenda 2010 in Deutschland zeigt. Drastisch wachsende soziale Ungleichheit (8), ein Anstieg der Armut in den westlichen Gesellschaften sowie intensivierte Ausbeutung des Globalen Südens sind die Folgen dieser Politik, mit denen heute noch gerungen wird. Der Neoliberalismus war und ist somit im wesentlichen Klassenkampf von Oben, was bei einer genaueren Betrachtung der Veränderungen in den Besitzverhältnissen des gesellschaftlichen Vermögens oder des Gesamteinkommens deutlich wird. So Ist beispielsweise in den USA der Anteil des reichsten Prozents am Gesamteinkommen in den Jahren 1980-2021 von rund 10% auf 19% gestiegen, zur selben Zeit ist der Einkommensanteil der Unteren 50% der Bevölkerung am Gesamteinkommen von 20% auf 14% gefallen. Diese immer größer werdende Ungleichheit der Einkommen wird jedoch von der Ungleichheit der Vermögen weit in den Schatten gestellt: während die Reichsten 1% in den USA bei Reagans Amtseintritt noch einen rund 20%igen Anteil am Gesamtvermögen aufweisen konnten, belief sich diese Zahl vierzig Jahre danach bereits auf 35%, was eine Steigerung um 75% bedeutet, die Reichsten 10% besitzen im Jahre 2020 sogar über 70% des Gesamtvermögens, während das Vermögen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung in den letzten vierzig Jahren sogar um einen halben Prozent geschrumpft ist. Die reichsten 0,1% der Bevölkerung besitzen somit fast zwölf Mal mehr Vermögen als die ärmeren 150 Millionen Amerikaner zusammen (9). Obwohl sich diese Tendenz der Zunahme sozialer Ungleichheit im neoliberalen Zeitalter auch in den europäischen Volkswirtschaften nachweisen lässt, ist das Ausmaß dort dennoch teilweise gemäßigter. Insbesondere die Ungleichheit der Einkommen ist merklich geringer als im amerikanischen Fall, bei der Vermögensverteilung stehen jedoch insbesondere zentraleuropäische Länder wie Deutschland und Österreich den USA nicht viel nach.
Die neoliberale Ideologie war und ist immer noch hegemonial. Innerhalb dieser Ideologie, innerhalb ihres Blickwinkels des methodologischen Individualismus, dessen Ausgangspunkt bei jeder Analyse das individuell nutzendmaximierende Individuum ist, lassen sich somit die zentralen Fragen nach sozialer Klasse, widerstreitender ökonomischer Interessen, sozialem Ausgleich und sozialer Ungleichheit nicht vernünftig formulieren. Individuelle Eigenverantwortung und die motivierende Funktion der Armut werden betont. Kollektive soziale Missstände wie Armut oder Arbeitslosigkeit werden systematisch unsichtbar gemacht und auf individuelles Versagen reduziert. Als Paradebeispiel für diese spezifische Form des Individualismus kann das folgende Zitat Margaret Thatcher angeführt werden:
„Who is society? There is no such thing! There are individual men and women and there are families, and no government can do anything except through people and people look to themselves first.“
Watching People Bowl Alone on Instagram
Ein weiterer fruchtbarer Zugang, um das fortschreitende Unsichtbar-Werden von sozialer Klasse im politischen Diskurs zu beleuchten, findet sich in der vertieften Analyse einer konkreteren, weniger theoretisch-ideologischen Entwicklung als der obigen, welche aber durchaus mit dem neoliberalen Projekt verbunden scheint. Die Annahme ist ein Erodieren der Klassen als Folge eines generellen Erodierens des Kollektiven im Verhältnis zum Individuellen.
Das allmählige Absterben der Zivilgesellschaft in wohlhabenden Industriegesellschaften steht in Robert Putnams Klassiker Bowling Alone im Fokus der Analyse. Ausgangspunkt des im Jahre 2000 veröffentlichten Buches ist die Beobachtung, dass in den USA immer mehr Menschen bowlen, gleichzeitig aber viele Bowling-Ligen drastische Mitgliederschwünde verzeichnen. Wie passen die beiden Beobachtungen zusammen? Die Menschen gehen nun vorwiegend allein bowlen. Diese Krise des Sozialen beschränkt sich aber keineswegs nur auf Sportvereine; ob Gewerkschafen, kirchliche Vereine oder Massenparteien, alle erlebten ab den 1980ern dramatische Mitgliederschwünde. Die Folge war eine zunehmend atomisierte, hochgradig individualisierte Zivilgesellschaft, eine soziale Einöde gewissermaßen. Zahlreiche Erklärungen für diese besorgniserregende Tendenz wurden angeführt: von der Abwanderung der Mittelschicht aus den Stadtzentren, über den vermehrten Eintritt von Frauen in den Arbeitsmarkt hin zu den Auswirkungen technologischer Neuerungen wie etwa dem Fernseher (10). Die Frage, die sich uns aber stellt ist: Welchen Einfluss hat das zunehmende Erodieren der Zivilgesellschaft auf die Möglichkeit der finanziell benachteiligten Schichten, ihre ökonomischen Interessen zu artikulieren und neue Debatten über soziale Ungleichheit anzustoßen?
Die zentralen Institutionen, über die sich die Interessen der arbeitenden Bevölkerung sowie sozial benachteiligter Gruppen artikulieren, wurden von dem zuvor beschriebenen Prozess der sozialen Ausdünnung nicht verschont. Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften sind drastisch eingebrochen und der gewerkschaftliche Organisationsgrad (wie viel Prozent der unselbständig Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder) ist in den meisten Ländern stetig gesunken. Österreich stellt hierbei ein besonders extremes Beispiel dar: Der Organisationsgrad der Arbeiterschaft hat sich von 60% in den 1960ern auf 26% in den 2010er Jahren mehr als halbiert (11). Gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung im Zuge der Umsetzung neoliberaler Politik sowie globalisierte Arbeitsmärkte und internationaler Standortwettbewerb führen zu gravierenden Problemen dieser Organisationen. Des Weiteren stellt der zunehmende Niedergang der Parteiendemokratie für unsere Analyse, vor allem der sozialdemokratischen Parteien, seit den 70ern ein weiteres Problem für die kollektive Organisation ökonomischer Anliegen dar. Massenparteien standen für einen großen Teil des 20. Jahrhunderts als Fixpunkte zwischen Individuen und ihren Regierungen und so waren sie gewissermaßen wie ein Bindeglied zwischen diesen und ermöglichten es, Einfluss auf Staat und Gesetzgebung auszuüben. Die Abkehr von den Parteien als freiwillige Vereinigung von Menschen, in denen sie ihre Interessen vertreten konnten, führte zu einer wachsenden Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung. Was fruchtbaren Boden für eine populistische „Die da Oben“-Rhetorik bringt.
Der Niedergang, besonders jener der zuvor angeführten, für die unteren Schichten relevanten Institutionen, führt daher zu erheblichen Schwierigkeiten, eine breite Masse für progressive Umverteilungsanliegen zu mobilisieren, selbst wenn diese individuelle Vorteile aus diesen Anliegen ziehen würde. Der Versuch der politischen Mobilisierung scheitert somit an einer immer weiter desorganisierten Zivilbevölkerung in einem Zeitalter der allgemeinen Demobilisierung. Zudem wiegt diese Krise der Zivilgesellschaft für jene, die für Umverteilung plädieren, schwerer als für Angehörige der Kapitalfraktion. Die Fraktion des Kapitals ist nämlich aufgrund ihrer geringeren Anzahl sowie ihrer ständigen gesellschaftlichen Interaktion im Verhältnis zur arbeitenden Klasse leichter zu vernetzen. Der Erhalt der etablierten Eigentumsverhältnisse ist zudem mit weniger ideellem und praktischem Aufwand verbunden (schon bloße Resignation oder individuelle Nutzenmaximierung sind ihm zuträglich), als eine kollektive Forderung, diese Verhätnisse zu verändern, wofür es Mobilisierung und alternative Visionen benötigt.
Da Putnams Analyse im Jahre 2000 geschrieben wurde, stellt sich uns heute die Frage, ob soziale Medien möglicherweise so etwas wie einen Ersatz, ein Substitut, für die beschriebenen zivilgesellschaftlichen Auflösungserscheinungen bieten könnten. Oder ob sie doch viel eher zu einer Verschlimmerung des Putnamschen Problems führen?
Für einige Jahre schien ein Hoffen auf technologische Innovationen, etwa in Form sozialer Medien, zur Lösung dieses Problems der Mobilisierung, der Vernetzung der Zivilgesellschaft, nicht utopisch. Dies mag aus der heutigen Perspektive womöglich naiv erscheinen, doch das inklusive, emanzipatorische Potential der sozialen Medien, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, digital Informationen in ungekannter Geschwindigkeit aufzurufen und sie zu teilen, sollte nicht unterschätzt werden. Heute dominiert jedoch ein digitaler Pessimismus. Die negativen Folgen sozialer Medien, insbesondere die zunehmende Apathie vor einer enormen Informationsflut sowie der Verlust eines kollektiven Kommunikations- und Faktenrahmens, sind, insbesondere in den Nachwehen der COVID-19-Pandemie, nicht mehr zu leugnen. Die von Putnam kontestierte zivilgesellschaftliche Versteppung machte die Gesellschaft somit vielmehr anfällig für die negativen Seiten sozialer Medien. Die Atomisierung des neoliberalen Individuums erzeugte eine Nachfrage nach sozialen Medien noch bevor diese weite Verbreitung fanden.
Entgegen der Hoffnung, dass die Direktmedien Lösungen für die politischen Mobilisierungsprobleme in der Zivilgesellschaft liefern könnten, kristallisiert es sich zunehmend heraus, dass sich die Probleme der direktmedialen Kommunikation vielmehr auf die Leitmedien und den politischen Diskurs insgesamt übertragen haben. Nach einer erschütternden Finanzierungskrise der Leitmedien in den 2000ern durch den Einbruch der Werbebranche, welche bis zu zwei Drittel der Finanzierung vieler Medienhäuser ausmachte, wurde verzweifelt nach neuen Geschäftsmodellen im digitalen Zeitalter gesucht. Aus der schmerzhaften Erkenntnis, dass man selbst als vermeintliche vierte Säule der Demokratie nicht außerhalb der kapitalistischen Ökonomie angesiedelt ist und man sich somit dem ökonomischen Zwang der Profitabilität beugen muss, wurden zahlreiche Erfolgsmechanismen der direktmedialen Kommunikation auch von den Leitmedien kopiert. Wie Precht und Welzer in Die Vierte Gewalt anschaulich darlegen, wurden bestimmte erfolgsversprechende Charakteristiken der Direktmedien zunehmend auch von etablierten Leitmedien kopiert. Dazu gehören ein politischer Journalismus, der vielmehr ein Journalismus über Politiker als über politische Inhalte geworden ist, eine erhöhte Publikationsgeschwindigkeit zulasten der eigentlichen Qualitätsansprüche der Leitmedien sowie zunehmende Zuspitzung und Sensationierung, zulasten überlegter Einordnung und Recherche, um in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Besonders die zentrale Bedeutung von X (Twitter) für den politischen Journalismus muss hier als Beispiel herangezogen werden. Twitter entwickelte sich für Journalisten zu einem essenziellen Sensor für Themen mit kurzfristigem Aufmerksamkeitswert. Gleichzeitig verunmöglicht es der Rahmen des Mediums, besonders die Zeichenbegrenzung, wirklich inhaltlich, sachliche Argumentationen oder Auseinandersetzungen zu führen. Eine Kultur der Dekontextualisierung, der Zuspitzung und moralischen Argumentationen ist die Folge. Dieser prägende Einfluss der Direktmedien auf die etablierten Leitmedien, sowie der Leitmedien und Direktmedien auf den politischen Prozess als Ganzes trieb einige Denker, unter anderem Thomas Meyer, zur folgenschweren Diagnose einer Mediokratie, der zunehmenden Herrschaft der Medien über die Politik. Die medieninterne Logik gewinnt demnach auch in der politischen Sphäre zunehmend an Bedeutung. Die Folge ist eine Politik, welche sich zunehmend an dem „wackeligen Cursor“ der momentanen medialen Aufmerksamkeit orientiert. Immer mehr Parteien orientieren sich an einer vermeintlichen Mitte, Nonkonformität wird in digitalen Schauprozessen vorgeführt. Grundsatzpositionen der Parteien verschwimmen zunehmend und werden in antizipierter Konformität mit dem Medienecho angeglichen.
Die Folge ist eine vor allem in ökonomischen Grundsatzpositionen relativ homogene Parteienlandschaft, die sich jedoch in extrem polarisierte Lager spaltet, die aber immer weniger aufgrund der ökonomischen Klassen und ihrer Interessen definierbar sind. Anton Jäger fand dafür den passenden Begriff der Hyperpolitik, eine „extreme Polarisierung ohne politische Folgen“. Die digital ausgetragenen, aber bis tief in persönliche Debatten hineinragenden Kulturkämpfe ohne ökonomische Basis nutzen dabei vor allem konservativen und rechten Kräften, deren Appelle an Identität und an den Erhalt des (ökonomisch) Bestehenden in der sozialen Einöde des digitalen Neoliberalismus auf fruchtbaren Boden fallen. In Streitthemen wie Gendertoiletten, vegane Fleischersatzprodukte, der eigenen Sprache oder dem Tempolimit zerfleischen sich ökonomisch Benachteiligte, während auf der anderen Seite der Vermögensverteilung, dort, wo die Algorithmen geschrieben und die Kapitalrenditen eingefahren werden, ungestört weiter akkumuliert wird.
Was ist Klasse (im 21. Jahrhundert)?
Nach diesen ökonomischen, gesellschaftlichen sowie technologischen Erklärungsansätzen, weshalb soziale Klassen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zunehmend unsichtbar geworden sind, obwohl gleichzeitig gravierende soziale Ungleichheiten zugenommen haben und sich diese bis heute weiter vertiefen, wenden wir uns dem Klassenbegriff als solchem zu. Ausgehend von diesem wollen wir Licht auf die aktuelle Situation im 21. Jahrhundert werfen und versuchen eine Antwort auf die Frage zu finden, ob (und warum) der Klassenbegriff immer noch relevant ist.
Obwohl der Klassenbegriff schon früher bei den Ökonomen der klassischen Nationalökonomie Verwendung fand, erfuhr er eine wesentliche Prägung durch Karl Marx‘ Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Marx definiert die Klassen im Wesentlichen über ihre Beziehung zu den Produktionsmitteln. Die kapitalistische Ökonomie sieht er durch einen fundamentalen Antagonismus zwischen der Bourgeoisie oder den Kapitalisten, welche die Produktionsmittel besitzen, und dem Proletariat, den Lohnarbeitenden, welche nichts außer ihre Arbeitskraft besitzen und diese an die Kapitalisten verkaufen müssen, charakterisiert. Das Proletariat wird auch als „doppelt freie Lohnarbeiter“ bezeichnet, denn es ist frei in dem doppelten Sinne, dass es nicht mehr Subjekt feudaler Abhängigkeitsbeziehungen ist, und ist gleichzeitig „frei“ vom Besitz der Produktionsmittel und somit in das Lohnarbeitsverhältnis mit den Kapitalisten gezwungen. Bei diesem Kampf zwischen der ausbeutenden und der ausgebeuteten Klasse wird um die Aneignung eines größeren Teils des gesellschaftlichen Wohlstandes gekämpft. Als Beispiel hierfür lässt sich die vorherige Verwendung des Begriffs „Klassenkampf von Oben“ für die ökonomischen Entwicklungen im Neoliberalismus anführen. Seit Umsetzung neoliberaler Politiken im Laufe der 80er Jahre ist nämlich die Lohnquote, also der Anteil der Lohneinkommen am gesamten Volkseinkommen, in den meisten westlichen Staaten gesunken(12), gleichzeitig aber ist der Capital-Share, also der Anteil des Kapitals am Volkseinkommen, zwischen Mitte der 90er und 2007 von 25% auf 36% gestiegen, zudem ist der Anteil des obersten Prozents an der Einkommensverteilung etwa in den USA zwischen 1980 und 2012 von 6,4 Prozent auf 11 Prozent gestiegen(13). Ein größerer Anteil des gesellschaftlichen Einkommens und Vermögens wird also am obersten Ende akkumuliert, während Armut am unteren Ende stetig zunimmt.
Es ist zudem wichtig zu erwähnen, dass die marxsche Klassentheorie mit einer teleologischen Geschichtsvorstellung, dem historischen Materialismus, verbunden ist. Nach dieser Vorstellung ist die Geschichte im Wesentlichen über die Kämpfe zwischen den Klassen definiert. Es wird angenommen, dass es am Ende der kapitalistischen Phase zu einer Intensivierung des Kampfes zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat kommt, was zu einer Revolution und der Aneignung der Produktionsmittel durch das Proletariat führt. Dies läutet eine neue geschichtliche Epoche ein, den Sozialismus, in welchem das Proletariat über die Produktionsmittel herrscht.
Der Klassenbegriff und insbesondere auch die teleologisch-marxistische Geschichtsvorstellung wurden nach Marx von zahlreichen sozialistischen und nicht-sozialistischen Denkern erweitert, verfeinert, kritisiert und präzisiert. Max Weber etwa führte neben den Besitzverhältnissen zur Charakterisierung der Klassen soziale Aspekte wie etwa die Lebensführungsart, die Erziehungsweise oder das Berufsprestige ein. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr die marxistische Klassentheorie eine prominente Erweiterung durch den französischen Soziologe Pierre Bourdieu, welcher den Kapitalbegriff auffächerte und neben dem ökonomischen Kapital die Unterscheidung weiterer Kapitalformen (kulturelles, soziales und symbolisches Kapital) anführte. Dieser Klassenbegriff wird uns im folgenden Artikel „Klassenkampf im Klassenzimmer“ erneut begegnen. Nach Bourdieu lässt sich die moderne kapitalistische Gesellschaft, nicht wie bei Marx in zwei, sondern in drei grundlegende Klassen aufgliedern. Die herrschende Klasse oder Bourgeoisie, die Mittelklasse oder das Kleinbürgertum und die Arbeiterklasse oder die beherrschte Klasse. Die oberen beiden Klassen weisen nach Bourdieu eine zweigeteilte Struktur auf, wohingegen sich dies bei der Arbeiterklasse nicht nachweisen lässt. Ein zentraler Begriff neben der Klassenlage ist bei Bourdieu der Habitus: die Umgangsformen, Vorlieben, Gewohnheiten und das Sozialverhalten einer Person. Dieser wird grundsätzlich durch die Klassenlage determiniert und manifestiert sich durch ähnliche Erfahrungen innerhalb der Klassen, erschafft somit also verschiedene soziale Milieus innerhalb der Gesellschaft. Diese verfeinerte Klassentheorie war der Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen der Sinus-Milieus in der Bundesrepublik Deutschland seit den 80er Jahren. In diesen Untersuchungen wird die Gesellschaft in die drei vertikalen bourdieuschen Klassen unterteilt und gleichzeitig in drei Wertehaltungen (Tradition, Modernisierung, Neuorientierung) horizontal gegliedert, daraus ergeben sich bis heute zehn sogenannte Sinus-Milieus.
Augenscheinlich hat sich die moderne kapitalistische Gesellschaft also immer weiter ausdifferenziert und heterogenisiert, was sich auch an den immer komplexer werdenden theoretischen Beschreibungen sozialer Klasse äußert. Neben ökonomischen Faktoren sind weitere Unterscheidungskriterien hinzugekommen. Ist der marxistisch konnotierte Klassenbegriff also überhaupt noch nützlich, stellt er noch eine relevante Analyseeinheit dar, um gegen zunehmende soziale Ungleichheit vorzugehen oder sollte er vielmehr historisch eingeordnet und als Teil einer lange vergangenen Zeit betrachtet werden?
Zukunftsperspektiven
Diese Frage ist wahrlich nicht einsilbig zu beantworten, aber es müssen verschiedene wichtige Argumente berücksichtigt werden, die dagegen sprechen, den Klassenbegriff im 21. Jahrhundert in die verstaubten Archive politischer Terminologie abzulegen. Zum einen ist die besondere Integrationskraft eines marxistischen Klassenbegriffs zu betonen, welcher die heterogenen und wahrlich nicht klassenbewussten, primär vom Lohn und nicht von Kapitalrenditen oder Ähnlichem abhängigen Massen zusammenfasst. 2022 standen etwa in Deutschland über 41,5 Millionen Arbeitnehmer, etwa 3,9 Millionen Selbständigen (Eigentümer oder Miteigentümer eines Unternehmens oder Betriebs oder freiberuflich Tätige) gegenüber (14). Selbst in Südtirol sind von rund den 260.000 Erwerbstätigen knapp 80% also über 200.000 Personen Arbeitnehmer (15). Diese Gruppe zu homogenisieren und allen idente ökonomische Interessen zu unterstellen, wäre sicherlich falsch, denn vom leitenden Angestellten bis zum prekär Beschäftigten Mini-Jobber werden alle darin zusammengefasst. Aber es ist dennoch wichtig zu betonen, dass ein großer Teil der Bevölkerung vom Lohn und nicht von Dividenden lebt und es im demokratischen Interesse der großen Mehrheit liegen sollte, diesen Lohn hochzuhalten und ihn vor Angriffen von Oben zu schützen. Denn während die Lohnquote am Volkseinkommen sinkt, steigt der Capital-Share, und das ist kein Zufall, sondern Klassenkampf von Oben.
Ein aktuelles Beispiel dafür, wie durch die Artikulation gemeinsamer Interessen eine ansonsten, wie zuvor ausgeführt, apathischen Lohnarbeiterschaft im Neoliberalismus mobilisiert werden kann, stellt die jüngste Streikbewegung in Europa und den USA dar. In den Vereinigten Staaten sind besonders die Streiks der United Auto Workers (UAW) hervorzuheben, in welchen der UAW-Präsident Shawn Fain durch eine transparente Kommunikation mit den Mitgliedern, innovative Streikkonzepte, die erfolgreiche Nutzung sozialer Medien, radikale Forderungen und Klassenkampfrhetorik die Arbeiterbewegung aus einer jahrzehntelangen Defensive in die Offensive katapultiert hat. In den vorläufigen Vereinbarungen (tentative agreements) mit den drei großen Automobilherstellern wurden zahlreiche bisher als utopisch geltende Forderungen umgesetzt: Lohnerhöhungen von 25% auf Grundlöhne, eine Erhöhung des Einstiegslohns um 67%, bessere Bedingungen für Leiharbeiter, bezahlter Elternurlaub und sogar ein Streikrecht für gewisse Investitionsentscheidungen wurden erkämpft (16), zuvor undenkbar im Ursprungsland der neoliberalen Hegemonie. Diese Form der Mobilisierung ist jedoch in vielen wenig organisierten, prekären Beschäftigungssparten wie etwa bei den großen Lieferservice-Unternehmen sicherlich schwer reproduzierbar, weshalb ein Fokus auf die Entwicklung innovativer und dezentraler Mobilisierungsmethoden von Bedeutung ist.
Ein weiterer relevanter Punkt ist die generelle Perspektive auf Gesellschaft und den Platz des Individuums in dieser Gesellschaft, welche sich durch Anwendung des Klassenbegriffs fundamental ändert. Das Konzept der Klasse ermöglicht es nämlich, eine andere als die zuvor beschriebene, verkürzte, neoliberale Perspektive auf die Gesellschaft als eine Ansammlung ökonomisch rationaler, nutzenmaximierender Individuen zu haben und Konfliktlinien nachzuvollziehen, welche aus der neoliberalen Perspektive unsichtbar erscheinen. Diese Betrachtung der Gesellschaft als Klassengesellschaft, in welcher sich die ökonomischen Interessen verschiedener Gruppen durchaus unterscheiden oder sich auch diametral entgegenstehen können, hat subversives Potential und großen Erklärungswert für zahlreiche Phänomene unserer kapitalistischen Spätmoderne. Es geht vor allem auch darum kulturell und politisch hegemoniale Narrative von Aufstieg, Leistung und Selbstoptimierung zu hinterfragen, nicht um reale Hoffnung zu zerstören, sondern um das atomisierte Individuum von der Last der persönlichen Verantwortung zu befreien und auf eine wahrhaftig solidarische Gesellschaft hinzuarbeiten, in welcher der Grundsatz „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ gilt.
Die zuvor beschriebenen Krisenphänomene des kommenden 21. Jahrhunderts lassen sich also durchaus aus verschiedenen Perspektiven betrachten, woraus sich auch unterschiedliche Antworten auf diese ergeben. Der politische Diskurs, besonders während der vergangenen Wahlen in Spanien, Italien oder auch in Südtirol, sowie die anstehenden Wahlen in den USA, die Wahlen auf europäischer Ebene oder in den ostdeutschen Bundesländern, werden dabei wesentlich vom Thema Migration dominiert. Rechte Parteien erleben dadurch einen ungekannten Aufschwung und werden von einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung als die einzige Alternative zu einer vermeintlich realitätsfremden Elite wahrgenommen. Diesem Narrativ zufolge verlaufen die relevanten Bruchlinien unserer Gesellschaft also zwischen Zugewanderten und Einheimischen, Flüchtlingen und der angestammten Bevölkerung. Die Reaktion vermeintlich progressiver Parteien besteht häufig darin, sich die rechte Rhetorik anzueignen, um die „Sorgen der einfachen Bevölkerung ernst zu nehmen“. Diese Sorgen sind jedoch, wie zuvor aufgearbeitet, häufige Folgen der zuvor beschriebenen ökonomischen, sozialen und technologischen Entwurzelung infolge einer Umwälzung durch den globalisierten Neoliberalismus. Progressiven Akteuren kann als Antwort auf diese Diskurse, anstelle der Aneignung rechter Kategorien, der Klassenbegriff wieder von Nutzen sein und sollte daher wieder vermehrt ins Zentrum gestellt werden, um die vorherrschenden Narrative zu hinterfragen und Antworten auf die akuten, vor allem ökonomischen Problemen zu finden. Denn der Konflikt zwischen den Vorletzten und den Letzten nutzt vor allem dem obersten Prozent. Und es sollte hinterfragt werden, ob meine ökonomischen Interessen als Arbeitnehmer eher durch einen prekär beschäftigten, migrantischen Erntehelfer bedroht werden oder durch den Athesia-Direktor Michl Ebner mit einem jährlichen Gesamteinkommen von über 1,5 Millionen Euro (17), dem 75-fachen des Medianeinkommens eines Südtiroler Arbeitsnehmers (18).
Die vorangegangene Aussage des Klassenbegriffs im Zentrum progressiver Politik soll dabei aber nicht als Schmälerung anderer emanzipatorischer Anliegen aufgefasst werden. Es geht darum, weitere Diskurse wie Klimagerechtigkeit, Rassismus oder die Gleichberechtigung der Geschlechter, um die Perspektive sozialer Ungleichheit anzureichern und wechselseitige Interaktionen zwischen verschiedenen Diversitätskategorien zu beleuchten. Intersektionalität ist hier das Stichwort. In Italien sind etwa besonders Frauen, migrantische Personen, jüngere Erwachsene oder Personen aus dem Süden des Landes von Armut trotz Erwerbstätigkeit (working poor) betroffen und leiden auch häufiger unter relativer Armut (19). Was natürlich nicht bedeutet, dass es in Städten wie Mailand keine älteren, männlichen Personen mit italienischen Vorfahren gibt, die nicht auch von Armut betroffen sind. Es gilt somit vor allem einfache Freund-Feind-Unterscheidungen auf kultureller Ebene zurückzuweisen, die Anschlussfähigkeit an die Interessen aller lohnarbeitenden oder arbeitslosen Menschen ins Zentrum zu rücken, progressive Anliegen auf verschiedenen Ebenen zu verbinden, demokratische Mehrheiten zu organisieren und der Falle rechter Kulturkämpfe zu entgehen. Denn wie nun hoffentlich klar geworden ist, kann es keine gerechte Gesellschaft ohne Klassengerechtigkeit geben, was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass eine vermeintlich klassenlose Gesellschaft zwangsläufig auch gerecht ist. Die Geschichte muss uns hierbei als Mahnung dienen. Dennoch gilt im 21. Jahrhundert, wie auch in den Jahrhunderten zuvor: Wer von den Klassen nicht reden will, sollte auch von der Gerechtigkeit schweigen.
– Kevin Klotz
Worterklärungen:
Externalisierung (externer Effekt)
Die Auslagerung von Kosten, Risiken oder Auswirkungen des Klimawandel auf andere Akteure, Regionen oder zukünftige Generationen.
Chauvinistisch
Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe, im ursprünglichen Sinn ein häufig aggressiver Nationalismus.
Fordistisch
Nach Henry Ford (1863-1947). Produktionsweise, in der durch Fließbandarbeit und Standardisierung Massenproduktion möglich wird. Gleichzeitig relativ hohe Arbeitnehmerlöhne, welche die Nachfrage ankurbeln aber strenge Arbeitsdisziplin und Überwachung.
Trickle-Down-Ökonomie
engl. ´nach unten rieseln´. Überzeugung, dass der Wohlstand der Reichsten über Investitionen und Konsum nach und nach auch den unteren Schichten zugutekommt. Kernforderung ist Entlastung der Wohlhabenden durch Steuersenkung.
Hegemonie
Geprägt von Antonio Gramsci (1891-1937) Mitbegründer und Generalsekretär des PCI. Vorherrschaft einer sozialen Gruppe über andere durch kulturelle, ideologische und politische Mittel. Nicht nur hinsichtlich politischer Macht, Kontrolle oder Repression, sondern auch durch die Beeinflussung von Denkweisen und Werten, durch Konstruktion von Ideologien und kulturellen Normen. Stabilisiert und legitimiert soziale Ordnungen.
Teleologie
Auffassung, nach der Ereignisse oder Entwicklungen durch bestimmte Zwecke oder ideale Endzustände im Voraus bestimmt sind und sich darauf zubewegen.
Quellen:
1. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/hunger-krise-un-generaldebatte-offener-brief-100.html
2. Chancel, L. (2022). Global carbon inequality over 1990–2019. Nature Sustainability, 5(11), 931-938
3. Greenpeace (2020): Klimaungerechtigkeit in Österreich, online unter: http://bit.do/klimakrise_01
4. Ribeiro, K. B., Ribeiro, A. F., Veras, M. A. D. S. M., & de Castro, M. C. (2021). Social inequalities and COVID-19 mortality in the city of São Paulo, Brazil. International journal of epidemiology, 50(3), 732-742.
5. Blundell, R., Costa Dias, M., Cribb, J., Joyce, R., Waters, T., Wernham, T., & Xu, X. (2022). Inequality and the COVID-19 Crisis in the United Kingdom. Annual Review of Economics, 14, 607-636
6. Gepp, J. (2022, 13. May). Österreich drohen heuer die höchsten Reallohnverluste seit 1955. Der Standard. https://www.derstandard.at/story/2000135697226/oesterreich-drohen-heuer-die-hoechsten-reallohnverluste-seit-1955
7. The Economist, (2022, 21st October). Where are Russia’s newest soldiers coming from? https://www.economist.com/graphic-detail/2022/10/21/where-are-russias-newest-soldiers-coming-from
8. Piketty, T., & Saez, E. (2014). Inequality in the long run. Science, 344(6186), 838-843
9. World Inequality Database (2023, November) https://wid.world/country/usa
10. https://jacobin.de/artikel/die-letzten-auf-der-bowlingbahn-robert-putnam-anton-jaeger
11. https://www.derstandard.at/story/2000126270428/solidaritaet-der-28-prozent-wie-es-der-gewerkschaft-geht
12. Wehler, H. U. (2013). Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Vol. 6096). CH Beck.
13. Trade Wars Are Class Wars, Michael Patties
14. Statista.de (Novermber 2023) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/979999/umfrage/anzahl-der-erwerbstaetigen-mit-arbeitsort-in-deutschland
15. ASTAT.it (November 2023) https://astat.provinz.bz.it/de/aktuelles-publikationen-info.asp?news_action=4&news_article_id=642229#:~:text=Nettomonatsl%C3%B6hne%20der%20unselbstst%C3%A4ndig%20Erwerbst%C3%A4tigen%20%2D%202019,S%C3%BCdtirol%20bei%201.500%20Euro%20liegt.
16. https://jacobin.de/artikel/uaw-streik-autoindustrie-tarifvertrag
17. https://salto.bz/de/article/06112023/fruehpension-am-weinbergweg
19. JACOBIN ITALIA, Nr. 18 (2023), Quando anche il lavoro diventa povero
So guat gschrieben, danke!