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Mehr als nur CO² – Klima und Gerechtigkeit

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Wenn über die Klimakrise und ihre Ursachen gesprochen wird, dann meist aus einer rein naturwissenschaftlichen Perspektive. CO², Treibhauseffekt, Golfstrom; doch um die Klimakatastrophe zu verhindern, müssen wir zurück zu den Wurzeln des Problems. Also lasst uns beginnen, vor etwa 500 Jahren…

Es ist das Jahr 1452, erstmals werden schwarze Menschen auf den Zuckerrohrplantagen von Madeira versklavt. Mit diesem Datum beginnt eine unvorstellbare Ausbeutung: Die aus Afrika verschleppten Menschen müssen für die Kolonialmächte arbeiten: keine Pause, kein Lohn, keine Rechte. Dabei wird nicht nur den Menschen unendliches Leid zugefügt, sondern auch der Natur. Innerhalb weniger Jahrzehnte ist die Insel komplett entwaldet und die klimatischen Bedingungen sind so verändert, dass Dürren den Zuckeranbau erschweren.

Laut der Sozialforscherin und Klimagerechtigkeitsaktivistin Imeh Ituen markiert dieses Ereignis zusammen mit der Entdeckung Amerikas 1492 den Startpunkt für die Klimakrise.

“Diese Ausbeutung von Schwarzen und indigenen Menschen sowie People of Color und die Genozide an ihnen, das sind die Prozesse, die überhaupt erst dafür gesorgt haben, dass in Europa so viel Kapital angehäuft wurde. Das hat die Industrialisierung hier ermöglicht, den Kapitalismus – und damit auch die Klimakrise.”

Dies macht deutlich, dass die Klimakrise kein rein naturwissenschaftliches Problem ist, das erst mit der Industrialisierung entstanden ist. Man kann sie nicht von den vielfältigen Formen der Ungerechtigkeit trennen:

Klimakrise und Rassismus?

Ausbeutung und Völkermord – kein Mensch kann derartige Verbrechen begehen, ohne sie zu rechtfertigen, indem die eigenen Opfer degradiert, rassifiziert und wie “Nutztiere” behandelt werden.

Dieser Rassismus zeigt sich aber nicht nur in den Wurzeln der Klimakrise, sondern kommt auch in dieser hervor, denn wie wir alle wissen, leiden unter dem Klimawandel vor allem Menschen aus dem globalen Süden, Personen, die für diese Katastrophe am allerwenigsten können. Und genau deshalb ist es falsch, zu behaupten, dass die Klimakrise ein Problem der Zukunft ist; das blendet aus, dass Menschen im globalen Süden jetzt und schon seit langem durch die Umweltkrise und ihre Verursacher leiden. Und somit werden viele Länder des globalen Südens, die ohnehin schon durch den Kolonialismus politisch destabilisiert sind, auch noch durch Umwelt- und Klimakatastrophen belastet.

Hinzu kommt, dass sich diese Ungerechtigkeit und Diskriminierung auch in Vorschlägen zeigen, die die Klimakrise eigentlich beenden möchten: Viele schwärmen z.B. vom Desertec-Projekt, das große Sonnenkraftanlagen in der Sahara für Strom in Europa plant. Früh kam die Kritik der Hauptbetroffenen in Ägypten und Marokko. Es sei ungerecht, dass sie mit den großen Anlagen in der Nähe leben müssten, sie aber gar nicht nutzen könnten. Viele sprachen dabei von einem Projekt wie aus der Kolonialzeit: Die Betroffenen müssen mit “Flackerstrom” leben, während sich Europa den Strom mit großen Anlagen in ihren Ländern holt. Viele befürchten bei solchen Projekten, wie auch dem Vorhaben, Wasserstoff aus Afrika zu importieren, dass es zu Landnutzungskonflikten kommen könnte. Die Gebiete, aus denen man die nötigen Ressourcen nämlich besorgen will, sind nicht einfach ungenutztes Land. Diese Denkweise haben sich die Kolonialmächte vor fast sechs Jahrhunderten zurechtgelegt. Um die Klimakatastrophe zu verhindern, dürfen wir uns das nicht erlauben.

Klimakrise und Klassismus?

Und schon kommt das nächste Problem: Die Klimakrise ist nicht mal zwischen Arm und Reich gerecht. Arme Menschen leben oft in Gebieten, die weniger geschützt sind und stärker von Klimakatastrophen wie Erdrutschen und Überschwemmungen betroffen sind. Außerdem müssen sie oft an viel befahrenen Straßen leben, die sie vielleicht gar nicht nutzen können und wo Lärm und Luftverschmutzung maximal sind. Reichere haben hingegen das Privileg, weit draußen in schicken Vierteln zu leben, wo sie von all dem nicht viel mitbekommen. Doch Arme sind durch die Klimakrise nicht nur stärker gefährdet, sondern haben auch am wenigsten dazu beigetragen. Studien in Deutschland, China und den USA zeigen, dass der Energieverbrauch und die CO²-Emissionen pro Person höher sind, je höher das Einkommen ist. Dieser Aspekt wird oft vergessen – ein Grund: Ärmere Menschen sind in der Klimabewegung selten zu finden. Betroffene weisen darauf hin, dass sie u.a. durch die bildungsbürgerliche Sprache der Aktivist:innen das Gefühl haben, nicht zu ihnen zu gehören und “intellektuell” nicht auf ihrem Niveau zu sein, da sie einen erschwerten Zugang zu Wissen haben. Außerdem fühlen sie sich vom Aktivismus oft wenig angesprochen, da sie Angst haben, durch den Klimaschutz finanziell in Schwierigkeiten gebracht zu werden. Leider sind für diese Ängste oft auch Politiker verantwortlich, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander ausspielen, um eine schnellere Klimawende zu blockieren.

Klimakrise und Sexismus?

Das hat uns gerade noch gefehlt, jetzt ist die Klimakrise auch noch sexistisch. Es mag für viele absurd sein und manche Männer fühlen sich dadurch vielleicht attackiert, aber tatsächlich ist es das, was viele Studien belegen. Laut der Organisation UN Women sterben Frauen und Kinder bei einer Katastrophe mit 14-mal höherer Wahrscheinlichkeit als Männer. “Unter anderem, weil sie später gewarnt werden, seltener schwimmen können und sich auf der Flucht um Angehörige kümmern.” Ein Beispiel zeigt das ganz deutlich: Beim Tsunami 2004 in Asien waren 70% der Todesopfer Frauen. Außerdem besteht auf der Flucht vor klimabedingten Katastrophen für Frauen ein erhöhtes Risiko für körperliche und sexualisierte Gewalt, Zwangsprostitution und Ausbeutung. Doch obwohl Frauen und Mädchen von der Klimakrise am stärksten betroffen sind, werden sie von umweltpolitischen Entscheidungsprozessen oft ausgeschlossen.

Warum muss das alles so kompliziert sein?

Die Klimakrise ist dennoch mehr als Rassismus, Klassismus und Sexismus. In Zusammenhang mit dem Klimaproblem stehen viele weitere Krisen, mit denen wir heute zu kämpfen haben. Die Überforderung, die sich dadurch bei vielen Menschen einstellt, ist verständlich. Tatsächlich aber sind die Probleme nicht erst jetzt entstanden, wir haben die Stimmen von benachteiligten Gruppen jahrzehntelang ignoriert, obwohl sie an der Front der Katastrophen stehen.

Klimakrise = nur CO² – dieses Kapitel müssen wir endlich abschließen. Die Sache mit dem Klima ist seit langer Zeit wissenschaftlich glasklar. Nun müssen wir anfangen, die verschiedenen Herausforderungen aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten und einen Diskurs auf Augenhöhe mit denen schaffen, die davon am meisten betroffen sind. Erst dann erkennen wir auch die wichtigen Zusammenhänge, die wir thematisieren müssen, um die ganze Gesellschaft für mehr Klimaschutz zu bewegen.

– Nathan Previdi

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