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My Body – Whose Choice?

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Über das Abtreibungsrecht in Italien

Notiz vor dem Lesen: Auch wenn im Text an manchen Stellen von Frauen die Rede ist, soll klar sein, dass nicht alle Frauen, aber auch Menschen, die sich nicht als Frauen definieren, schwanger werden können.

Vor 45 Jahren, am 22. Mai 1978, wurden in Italien Schwangerschaftsabbrüche, unter gewissen Auflagen, legalisiert. Inspiration bezogen die Debatten von den Forderungen in Ländern wie Frankreich und den USA und Berichte über Todesfälle bei illegalen Abtreibungen änderten die öffentliche Meinung zu Gunsten der Befürworterinnen*. Als das Gesetz 194 dann nach jahrelangen Diskussionen endlich eingeführt wurde, schien der Kampf um die weiblichen reproduktiven Rechte erst einmal gewonnen.

Doch nun, mit einer post-faschistischen Partei als Wahlsiegerin und einer Ministerpräsidentin, die als am weitesten rechts seit Mussolini gilt, zittern Feministinnen* im ganzen Land.

Warum sie das zu Recht tun und weshalb es “legge 194” unbedingt zu verteidigen gilt…

Wie funktionieren Schwangerschaftsabbrüche eigentlich? Die Grundlagen

Legal abtreiben kann man in Italien normalerweise bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Der Großteil der abtreibenden Südtirolerinnen unterzieht sich der Behandlung tatsächlich schon früher. Wenn sich jemand zu diesem Schritt entscheidet, muss diese Person i.d.R zuerst ein medizinisches Gespräch durchlaufen. Nach einer Bedenkzeit von sieben Tagen darf der Eingriff dann vorgenommen werden. Abtreibungen nach dieser Frist werden nur in lebens- oder schwer gesundheitsschädigenden Fällen erlaubt.

Durchgeführt werden dann Schwangerschaftsabbrüche entweder chirurgisch oder mit Medikamenten. Pharmakologische Eingriffe nehmen aktuell zu, da das italienische Gesundheitsministerium die mögliche Einnahme der nötigen Medikamente bis zur neunten Schwangerschaftswoche verlängert hat. Der Großteil der Abtreibungen findet allerdings immer noch chirurgisch statt.

Zugang mit Hindernissen

Gut, Schwangerschaftsabbrüche sind in Italien jetzt zwar bis zu einem gewissen Zeitpunkt legal, doch ganz problemlos verläuft die Sache trotzdem nicht. Denn es gibt da noch diesen Artikel 9 im Gesetz 194: “Il personale sanitario ed esercente le attività ausiliarie non è tenuto a prendere parte alle procedure …”

Das bedeutet also, dass ärztliches Personal aus Gewissensgründen verweigern kann in Abtreibungen involviert zu werden. Laut dem italienischen Gesundheitsministerium waren dies im Jahr 2020 64,6 % der Gynäkologinnen*, 45

  • der Anästhesistinnen* sowie 36 % des nicht-medizinischen Personals. In Südtirol bezeichneten sich im Jahr 2022 83,7% der Frauenärztinnen* als sogenannte obiettore di coscienza.

Das sind hohe Zahlen, höher als in vielen anderen Regionen. Warum sich Medizinerinnen* dazu entscheiden, ist nicht einheitlich geklärt. Vermutet werden allerdings vor allem Karrieregründe, gesellschaftliche Stigmata und persönliche ethische Einstellungen.

Die Auswirkungen davon sind gravierend: Schwangerschaftsabbrüche werden immens erschwert. Man muss nämlich erst einmal ein Krankenhaus finden, in dem Ärztinnen* für den Eingriff bereitstehen. Wie erwähnt ist auch in unserer Region die Lage keineswegs ideal. Schwangerschaftsabbrüche werden nur in Bozen und Meran durchgeführt, und in der Landeshauptstadt ist das nur durch einen herangezogenen externen Arzt möglich.

Ein eigentlich seit Jahrzehnten festgeschriebenes Recht wird also im Grunde nicht immer gewährleistet.

„Lebensschützerinnen*“ auf hoher Mission

Der korrekten Ausführung des Gesetzes 194 legen auch Organisationen wie Movimento per la Vita oder Pro Vita & Famiglia Steine in den Weg. Sie sehen sichals, die Namen verraten es bereits, Verteidiger des ungeborenen Lebens. Dementsprechend kämpfen sie gegen jegliche Art von Schwangerschaftsabbruch. Unter ihre zum Teil aus öffentlichen Geldern finanzierten Aktionen fallen Demonstrationen wie Marcia per la vita oder Kampagnen gegen “l’ideologia gender” und gegen das eigentlich bitter nötigen DDL Zan. Auch in Bozen kam es in diesem Jahr zu einer Veranstaltung von Pro Vita. Der Landeshauptmann-Stellvertreter Vettorato wäre dabei gewesen – und sagte wegen Polemiken im letzten Moment ab. Die Fratelli d’Italia bemängelten im Gegenzug die Gegendemonstration.

Abtreibungsgegner sind gut vernetzt. Die genannten Gruppen stehen keineswegs allein da; überall auf der Welt, am einflussreichsten in den USA, versuchen Organisationen Schwangerschaftsabbrüche zu verbieten und die “traditionelle”, heteronormative Familie zu propagieren. Zusammen finden sie zum Beispiel auf dem World Families

Congress, der 2019 auch in Verona stattfand. Unter den Rednerinnen*: unsere aktuelle Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Reproduktive Rechte und die Rechte

Im Anbetracht der Tatsache, dass sich politisch rechte Politikerinnen* gerne in Anti-Abtreibungsbewegungen einbringen und sich im Allgemeinen großteils gegen Schwangerschaftsabbrüche positionieren, drängt sich die Frage auf, wie lange in Italien noch vom Gesetz 194 Gebrauch gemacht werden kann.

“Non intendo abolire la legge 194. Non intendo modificare la legge 194, capito?”, damit beantwortet Giorgia Meloni die vielen auf der Zunge brennende Frage in einem Interview, wenige Tage vor den Wahlen am 25. September letzten Jahres. Um es auch der woken Generation Z verständlich darzulegen, wiederholt sie alles spöttisch in Englisch: “I don’t want to cancel it, okay?”.

An sich präsentiert sich Meloni jetzt also eigentlich recht liberal, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Und tatsächlich steht auch im Wahlprogramm ihrer Partei “piena applicazione della legge 194 del 1978 sull’ interruzione volontaria di gravidanza, a partire dalla prevenzione”.

Doch irgendwas scheint nicht ganz ins Bild zu passen.

Da wäre zum einen die abtreibungsrechtliche Situation in Regionen, die bereits vor den Parlamentswahlen von FDI regiert wurden.

In den Marken gibt es etwa schon seit längerem tiefgreifende Einschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen. Die mögliche Abtreibungszeit wurde von eigentlich 12 auf sieben Wochen gekürzt und die Verabreichung der sogenannten Abtreibungspille in Privatkliniken verboten.

Zum anderen wird auch auf nationaler Ebene das Abtreibungsrecht attackiert. An sich ist das zwar nichts Neues, Gesetzesvorschläge gegen Schwangerschaftsabbrüche wurden schon sehr häufig eingebracht. Doch jetzt steht Fratelli d’Italia an der Spitze einer nicht sonderlich progressiven Regierung, und hat also viel mehr Handlungsfreiraum als in der Opposition.

Und allein die Tatsache, dass Italien seit dem Wahlsieg FDIs über ein Ministerium nicht nur für Familie und Gleichberechtigung, sondern jetzt auch für Geburtenrate verfügt (der Nazi-Beigeschmack kann kaum ausgeblendet werden) signalisiert bereits, dass die Regierung vielleicht nicht vorhat, das Gesetz 194 direkt abzuschaffen, aber es Schritt für Schritt zu untergraben.

Der Mythos vom Erhalten des Vater-, ach so, Mutterlandes

Nationalistische Motive spielen eine große Rolle in der Weltanschauung von sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums positionierenden Menschen, also auch

in dem von Abtreibungsgegnern. Klar, es ist eine Tatsache, dass Italiens Bevölkerung schnell und stark altert. Laut dem Population Reference Bureau hat Italien nach Japan sogar die älteste Bevölkerung der Welt. Gefundenes Fressen also für Menschen, die, gemischt mit Fremdenfeindlichkeit, vom Erhalt der Nation predigen.

Doch sind erzwungene Geburten die Lösung?

Möglicherweise gibt es ja auch valide Gründe, weshalb Frauen heutzutage keine Kinder mehr zur Welt bringen wollen. Klimawandel, Krieg, die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich – vielleicht sollte die Politik mal etwas dagegen tun, anstatt die Schuld der feministischen Emanzipation in die Schuhe zuschieben.

Der Vatikan und die weibliche Selbstbestimmung… …ist ein schwieriges Thema.

Aber wenn Wissenschaft dagegen spricht, beruft man sich eben oft auf Religion. Und die hatte noch nie viel Gutes über Schwangerschaftsabbrüche zu sagen. So veröffentlichte Papst Paul VI. 1968, zu einer Zeit, in der die Legalisierung von Abbrüchen in Italien bereits debattiert wurde, seine Enzyklika Humanae Vitae. Da er sich darin nicht nur gegen Abtreibungen, sondern auch gegen Verhütung ausspricht, wird das viel kritisierte Dokument auch “Pillenenzyklika” genannt.

Und auch Papst Franziskus, der doch ansonsten als recht liberaler Papst eingeschätzt wird, vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord.

Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass Schwangerschaftsabbrüche tabu für tiefgläubige Christinnen* sind und gerade diese dann Organisationen wie Pro Vita beitreten.

My Body MY choice

Durch das immer häufigere Infragestellen eines Rechts, dem im Moment immerhin über 70 % der Italienerinnen* ausdrücklich zustimmen, können auch bei eigentlich Überzeugten Zweifel auftreten. Wie in vielen politischen Bereichen, sollte auch hier auf die Wissenschaft gehört werden – und nicht auf die persönliche Meinung von Menschen, die physisch vielleicht im Jetzt leben, aber psychisch noch in den 1950ern.

Die für Abtreibungsgegnerinnen* Utopie, für den Rest der Gesellschaft aber Dystopie einer Welt ohne Schwangerschaftsabbrüche ist höchst unrealistisch. Abtreibungen hat es nämlich immer schon gegeben und sind auch in der Zukunft nicht wegzudenken. Tatsächlich finden wir den ersten, uns bekannten dokumentierten Schwangerschaftsabbruch bereits auf einem Papyrus 1550 Jahre

vor dem Beginn unserer Zeitrechnung. Abtreibungen sind also keineswegs eine Erfindung der Neuzeit und des Feminismus, wie manche vielleicht glauben lassen wollen.

Die Frage ist schließlich auch, was Abtreibungsverbote überhaupt bezwecken. Studien zeigen, dass sie Eingriffe keineswegs verhindern. Vielmehr suchen Schwangere dann nach anderen, illegalen Wegen, ihre Schwangerschaft zu unterbrechen. Doch diese sind viel riskanter und enden häufiger in Komplikationen, die mitunter tödlich enden können. Verbote bringen unter dem Strich also nichts außer vermeidbare Todesfälle. Und das dank einer Ideologie, die von sich doch eigentlich behauptet, Leben retten zu wollen.

Abtreibungsgegnerinnen* predigen oft von Ethik. Doch dieser Ansatz kann auch auf die Gegenseite bezogen werden. Es ist doch zum Beispiel kaum moralisch vertretbar, ein Vergewaltigungsopfer zu zwingen, ein Kind auszutragen. Schwangere und ihre Entscheidungen werden sowieso nicht ernst genug genommen. Denn Abtreibungen sind keine leichtfertige Entscheidung, jede Person hat ihre eigenen validen Gründe dafür. Dass Außenstehende dann versuchen, über die Körper von anderen zu bestimmen, sollte eigentlich ein Skandal an sich sein.

Last but not least darf auch der allgemeine feministische Blickwinkel nicht fehlen. Kinderkriegen und -aufziehen ist nämlich immer noch eine Frauensache. Männer sind vielleicht bei der Zeugung dabei, der Großteil der Arbeit fällt oft aber auf die Frauen zurück. Häufig wird auch die Verantwortung fürs Schwangerwerden ausschließlich auf die Frau geschoben, sie hätte besser verhüten sollen, nicht sexuell aktiv sein – die Rolle der Männer wird in dem Zusammenhang bewusst unterschätzt und verharmlost. Wieder einmal sind die Frauen an allem Schuld.

Gerade auch dieses Mindset herrscht leider in den regierenden Parteien vor, und eines ist leider gewiss: In Italien blühen nicht nur Zitronen, sondern auch faschistisches Gedankengut.

-Anna Recla

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1 Kommentar zu “My Body – Whose Choice?”

  1. Vielen Dank für diesen super Text!! Gut recherchiert und unerschrocken wichtige Aspekte angesprochen. Danke.

    Muss nur kurz anmerken, dass Schwangerschaftsabbrüche in Italien bis zur 12. Schwangerschaftswoche nicht legal sind, sondern nur unter bestimmten Umständen straffrei, was einen Unterschied macht.
    Wie du sagst, warum so wenige Gynäkolog:innen sich dafür entscheiden, Abbrüche durchzuführen, ist noch nicht ausreichend geklärt. Es ist tatsächlich so, dass Schwangerschaftsabbrüche auch in der medizinischen Fachwelt ein riesiges Streitthema sind und von vielen Gynäkolog:innen einerseits aus Gründen persönlicher Überzeugung, andererseits aus Angst vor der Verurteilung von Kolleg:innen bzw. Arbeitgeber:innen abgelehnt werden. Eine deutsche Umfrage hat vor kurzem ergeben, dass 69% der befragten Ärzt:innen eine Abruptio als Tötung ansehen. Nur 24% (!) sehen also einen Abbruch nicht als Tötung *. Manchmal könnte auch die Angst vor rechtlichen Folgen eine Rolle spielen – „unter bestimmten Umständen straffrei“ ist vor dem Gesetz etwas anderes als „legal“.
    Außerdem steht die Durchführung von Absaugungen im Medizinstudium tatsächlich nicht auf dem Lehrplan.
    Die Versorgungslage ist ohne zu übertreiben dramatisch – im gesamten Bundesland Tirol beispielsweise gibt es nur einen praktizierenden Arzt, der Abbrüche durchführt.
    Noch was, was mich richtig aufregt: Die gute Frau Meloni will zwar das Gesetz 194 nicht „canceln“, sie hat aber vor einigen Monaten erlaubt, dass abtreibungsgegnerische Organisationen direkten Zugang zu den verpflichtenden Beratungsgesprächen vor einem Schwangerschaftsabbruch haben, was bedeutet, dass sie die Menschen direkt dort belästigen können…

    Ein Hoffnungsschimmer: Durch mutige Organisationen wie Doctors bzw. Medical Students for Choice betreiben Ärzt:innen bzw. Medizinstudierende ehrenamtlich Aufklärungsarbeit an medizinischen Unis, damit eine neue Generation von Ärzt:innen heranwächst, der reproduktive Selbstbestimmung hoffentlich ein Anliegen ist 🙂

    *Quelle:
    https://dgpfg.de/wp-content/uploads/2023/12/Folgen-Schwangerschaftsabruch-fuer-Personal-gyne-4-23-download.pdf